Kriminalität und Strafjustiz in der Frühen Neuzeit und der Moderne

Neue Kriminalitätsgeschichte: Themen, Methoden, Perspektiven - 8. Kolloquium zu Kriminalität und Strafjustiz in der Frühen Neuzeit und der Moderne

Veranstalter
Tina Adam (Universität Bern), Maurice Cottier (Universität Freiburg/Schweiz), Joachim Eibach (Universität Bern)
Veranstaltungsort
Bern
PLZ
3012
Ort
Bern
Land
Switzerland
Findet statt
In Präsenz
Vom - Bis
19.06.2024 - 22.06.2024
Deadline
01.10.2023
Von
Maurice Cottier, Departement für Zeitgeschichte, Universität Freiburg (Schweiz)

Kriminalität und Strafjustiz in der Frühen Neuzeit und der Moderne

Die Tagung, die zugleich das 8. Kolloquium zu Kriminalität und Strafjustiz in der Frühen Neuzeit und Moderne sein wird, hat zum Ziel, neue Themen, Methoden und Perspektiven im Bereich der Kriminalitätsgeschichte zu diskutieren. Dabei soll gefragt werden, ob und wie das Forschungsfeld an aktuelle Debatten innerhalb der Geschichtswissenschaften anschlussfähig ist und wie diese Debatten die Kriminalitätsforschung bereichern können und vice versa.

Crime and Criminal Justice in the Early Modern and Modern Periods

This conference - which will also act as the 8th Colloquium on Crime and Criminal Justice in the Early Modern and Modern Periods - aims to discuss new topics, methods and perspectives in the field of criminal history. We will ask whether and how the field of research can be connected to current debates within the historical sciences and how these debates can enrich crime research and vice versa.

Neue Kriminalitätsgeschichte: Themen, Methoden, Perspektiven - 8. Kolloquium zu Kriminalität und Strafjustiz in der Frühen Neuzeit und der Moderne

Seit ihren Anfängen in den 1980er-Jahren hat sich die Historische Kriminalitätsforschung im deutschsprachigen Raum zu einem florierenden Forschungsfeld entwickelt. Vor allem die hermeneutische Dechiffrierung von gerichtlichen Verhörprotokollen, Anklage- und Urteilsschriften eröffnete einmalige Einblicke in die (konfliktreiche) Alltagswelt spätmittelalterlicher und frühneuzeitlicher Lebenswelten. Gleichzeitig konnte gezeigt werden, dass vormoderne Strafgerichte keineswegs nur drakonische Strafen verhängten, sondern über ein ausdifferenziertes Arsenal an Straftechniken verfügten. Im Anschluss an die Pionierphase widmeten sich Kriminalitätshistoriker:innen dem 19. Jahrhundert und – allerdings nur sehr beschränkt – dem frühen 20. Jahrhundert.
Mit ihren Arbeiten hatten Kriminalitätshistoriker:innen wesentlich Anteil an der Herausbildung und Etablierung neuer Teildisziplinen und Ansätze innerhalb der Geschichtswissenschaften. Namentlich die Neue Kulturgeschichte, die Historische Anthropologie und später auch die Kritische Diskursanalyse wurden wesentlich durch kriminalitätshistorische Arbeiten mitentwickelt.
Zuletzt ist es allerdings ruhiger um die Historische Kriminalitätsforschung geworden. Theoretische und methodische Impulse gehen heute von anderen Forschungsrichtungen wie z. B. der Global- und Kapitalismusgeschichte, den Post Colonial-, und Material Culture Studies aus.
In den kommenden Jahren steht im Feld der Kriminalitätsgeschichte ein Generationenwechsel an. Es ist daher ein guter Zeitpunkt, um zu fragen, welche neuen Wege aktuelle und künftige Forschungen einschlagen könnten. Zudem drängt sich die Frage auf, wie das Potenzial der Digital Humanities für kriminalitätshistorische Fragestellungen fruchtbar gemacht werden kann. Mit welchen Inhalten und Ansätzen lässt sich die historische Kriminalitätsgeschichte erneuern?
Die Berner Tagung, die zugleich das 8. Kolloquium zu Kriminalität und Strafjustiz in der Frühen Neuzeit und Moderne sein wird, hat deshalb zum Ziel, neue Themen, Methoden und Perspektiven im Bereich der Kriminalitätsgeschichte zu diskutieren. Dabei soll gefragt werden, ob und wie das Forschungsfeld an aktuelle Debatten innerhalb der Geschichtswissenschaften anschlussfähig ist und wie diese Debatten die Kriminalitätsforschung bereichern können und vice versa.
Wir sind insbesondere interessiert an empirischen oder konzeptionell orientierten Beiträgen, die Kriminalitätsgeschichte mit anderen Teildisziplinen der Geschichts- und Kulturwissenschaften verknüpfen. Dies betrifft zum Bespiel – aber keineswegs ausschließlich – folgende Themen, Perspektiven und methodischen Zugänge.
- Globalgeschichte und Transnationalität: Transnationalität und Globalgeschichte haben Konjunktur. Interessant sind hier v.a. grenzüberschreitende und globale Formen von Kriminalität und Kriminalitätsbekämpfung. Territoriale Grenzen bzw. deren Überwindung oder Verschiebung sind für die Konstitution von Kriminalität und Strafjustiz von jeher von Bedeutung. Gleichzeitig überqueren auch ‘Kriminelle’ territoriale Grenzen. Grenzgebiete waren nicht selten besonders schwer zu regierenden Territorien, in denen Kriminalität florierte – real oder imaginiert.
- Migration und Kriminalität: Eng verbunden mit transnationalen, globalhistorischen, aber auch (post)kolonialen Perspektiven ist die Frage der Migration. In den Gesellschaften des 21. Jahrhunderts sind Kriminalitätsdebatten oft mit Migrationsdebatten verknüpft – ein Phänomen, das als «Crimmigration» umschrieben wird. Hier besteht ein großer transepochaler Forschungsbedarf.
- Kriminalität und Intersektionalität: Während (Un)gleichheit vor Gericht und genderspezifische Perspektiven in der Kriminalitätsgeschichte fest etabliert sind, bietet der Ansatz der Intersektionalität weiter gehende Möglichkeiten, Diskriminierungen und Privilegierungen im Bereich von Kriminalität und Strafjustiz herauszuarbeiten. Wie lassen sich intersektionale Perspektiven, die Überschneidungen von und Wechselwirkungen zwischen diskriminierenden (resp. privilegierenden) Strukturkategorien, in den Blick nehmen konkret für kriminalitätshistorische Forschungen fruchtbar machen?
- Post(kolonialismus) und Kriminalität: (Post)koloniale Ansätze untersuchen die Auswirkungen kolonialer Herrschaft vor und nach dem Ende der europäischen Imperien. Die Rolle von Kriminalität und Strafjustiz im Kontext kolonialer oder kolonialähnlicher Expansion aber auch Dekolonisation stellt noch größtenteils ein Desiderat dar. Gleichzeitig verspricht das Lesen von Gerichtsakten gegen den Strich, dass auch die Agency der Kolonialisierten auf innovative Weise untersucht werden kann.
- Kriminalität und Kapitalismus: Die historische Kapitalismusforschung ist seit der Finanzkrise von 2007/08 im Aufschwung. Obwohl Kapitalismus häufig mit Moderne gleichgesetzt wird, reichen die Anfänge dieses Wirtschaftssystems bis ins Spätmittelalter zurück. Kapitalistische Wirtschaftsformen existierten dabei nicht unabhängig von staatlich festgelegten Regelwerken. Welche Rolle spielten Strafgerichte beim Schutz von Eigentum, Handel und Akkumulation von Kapital? Wo verliefen die Grenzen zwischen legalen und illegalen Akkumulationsformen? Diese und andere Fragen, welche die Kapitalismusforschung befruchten könnten, scheinen noch größtenteils unbeantwortet.
- Kriminalitätsgeschichte und Umweltgeschichte: Die Umweltgeschichte hat im Zuge der Klimakrise und der interdisziplinären Forschungen zum Anthropozän erneut an Relevanz gewonnen. Welche Rolle spielten Kriminalität und Strafjustiz seit dem Spätmittelalter beim Umgang und Schutz der Umwelt als öffentlichen Gut?
- Kriminalitätsgeschichte und Animal Studies: Von den Animal Studies gingen zuletzt wichtige Impulse für die Geschichtswissenschaft aus. Welche Rolle spielten Tiere im Bereich von Kriminalität und Strafjustiz? Sind sie schützenswertes Gut, Beute oder vielleicht sogar Akteure? Inwiefern korrespondierte dieser Aspekt mit der Entstehung der modernen Tierschutzbewegung ab Mitte des 19. Jahrhunderts?
- Kriminalitätsgeschichte als Zeitgeschichte: Während die Wurzeln der Kriminalitätsgeschichte im deutschsprachigen Raum in der Spätmittelalter- und Frühneuzeitforschung liegen, haben mittlerweile das 19. und teilweise auch das frühe 20. Jahrhundert Beachtung erhalten. Spärlicher hingegen sind Forschungen zur Zeit nach 1945 und ganz besonders zu den letzten drei Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts. Die Zeit ist reif, um den Fokus auf die Entwicklungen nach 1970 zu legen. Die Periode ‘nach dem Boom’ war geprägt durch einen tiefgreifenden sozialen, ökonomischen und kulturellen Wandel. Wie sich dieser auf die Kriminalität, die Wahrnehmung von Kriminalität und die Kriminalitätsbekämpfung auswirkte, ist bis dato kaum erforscht.
- Kriminalität und Material Culture: Die Kriminalitätsgeschichte hat ihr ihren Fokus nicht zuletzt auf Kriminalität als symbolische Interaktion gelegt. Dabei stand so auch oft die Rekonstruktion von Symbolwelten und Sensibilitäten im Vordergrund. Das wichtigste Beispiel hierfür ist die «Ehre», welche für einige Delikttypen bis ins frühe 20. Jahrhundert konstitutiv war. Material culture-Ansätze, die seit einigen Jahren Konjunktur haben, legen den Fokus weniger auf Erfahrungen und Diskurse als auf Artefakte und handfeste Dinge. Gerade bei Diebstahl und Raub wäre es interessant, genau darauf zu achten, welche Dinge die Besitzer:innen wechselten und wie sich dies über die Zeit veränderte.
- Kriminalitätsgeschichte und Digital Humanities: Interdisziplinär fokussieren neuere Forschungen zunehmend auf die Möglichkeiten (und Unmöglichkeiten) der Digital Humanities. Die Tagung soll die Gelegenheit bieten, Projekte zu diskutieren, die sich mit neuen Technologien und digitalen Methoden im Bereich der Historischen Kriminalitätsforschung beschäftigen.
Diese Themenliste ist nicht abgeschlossen, sondern vorläufig zu verstehen. Die Tagung ist offen für weitere innovative Themen, Methoden und Perspektiven! Die Vorträge sollen nicht länger als 20 Minuten dauern und können in deutscher oder englischer Sprache gehalten werden.

Bitte senden Sie eine einseitige Zusammenfassung (max. 300 Wörter, deutsch oder englisch) mit
dem Titel des Vortrags und einer Skizze zum Inhalt zusammen mit einer Kurzvita (eine Seite) in einer PDF-Datei an Maurice Cottier, email: maurice.cottier@unifr.ch

Frist für die Einreichung von Vorschlägen: 1. Oktober 2023.

Zeit und Ort:
Die Konferenz wird vom 19. Juni (Anreise) bis 22. Juni 2024 an der Universität Bern stattfinden.
Das Organisationsteam bemüht sich um eine Finanzierung der Übernachtungen für Referierende.

Kontakt:
Tina Adam, Universität Bern, Historisches Institut, tina.adam@unibe.ch
Maurice Cottier, Universität Freiburg, Departement für Zeitgeschichte, maurice.cottier@unifr.ch
Joachim Eibach, Universität Bern, Historisches Institut, joachim.eibach@unibe.ch

New Criminal History: Topics, Methods, Perspectives. The 8th Colloquium on Crime and Criminal Justice in the Early Modern and Modern Periods

Since its beginnings in the 1980s, historical research on crime has developed as a flourishing field of research in the German-speaking regions. In particular the hermeneutic decoding of legal examination records, prosecutions and verdicts have opened up unique insights into the (conflict rich) everyday world of late medieval and early modern life. At the same time it can be shown that pre-modern criminal courts did not impose draconian punishments, but had a wide variety of sanctions at their disposal. Following the initial phase, historians of crime devoted themselves to the 19th and – albeit to a very limited extent – the 20th centuries.
As a result of their work, criminal historians have played a significant role in the formation and establishment of new sub-disciplines and approaches within the historical sciences. In particular, the New Cultural History, Historical Anthropology, and also Critical Discourse Analysis were significantly influenced by the work of historians of crime.
However, historical crime research has seen fewer innovations in recent years. Theoretical and methodological impulses today come from other research directions such as global history and the history of capitalism, post colonial and material culture studies.
In the coming years, there will be a generational change in historical studies on crime and criminal justice. It is therefore a suitable time to ask what new turns current and future research might take. In addition, the question arises as to how the potential of the digital humanities can used fruitfully when discussing criminal history. With which contents and approaches can the study of criminal history be revitalised?

This conference in Bern - which will also act as the 8th Colloquium on Crime and Criminal Justice in the Early Modern and Modern Periods - therefore aims to discuss new topics, methods and perspectives in the field of criminal history. We will ask whether and how the field of research can be connected to current debates within the historical sciences and how these debates can enrich crime research and vice versa.
We are particularly interested in empirical or conceptually oriented contributions that link criminal history with other sub-disciplines of history and cultural studies. This concerns for example - but by no means exclusively - the following topics, perspectives and methodological approaches.
• Global History and Transnationality: Transnationality and global history are booming. Of particular interest here are transnational and global forms of crime and crime control. Territorial borders, their overcoming or shifting have always been important for the constitution of crime and criminal justice. At the same time, 'criminals' also cross territorial borders. Border areas were often particularly difficult territories to govern, where crime thrived – either real or imagined.
• Migration and Crime: Closely related to transnational, global-historical, and also (post) colonial perspectives is the question of migration. In 21st century societies, debates on crime are often linked to debates on migration - a phenomenon paraphrased as ‘crimmigration’. There is a great need for transepochal research in this area.
• Crime and Intersectionality: while (in)equality in court and gendered perspectives are well established in criminal history, the approach of intersectionality offers broader possibilities to elaborate discrimination and privilege in the field of crime and criminal justice. How can intersectional perspectives - which focus on intersections of and interactions between discriminatory (or privileging) structural categories - specifically be made more fruitful for research on criminal history?
• Post (Colonialism) and Crime: (Post) colonial approaches examine the effects of colonial rule before and after the end of European empires. The role of crime and criminal justice in the context of colonial or colonial-like expansion, but also decolonization, is still largely a desideratum. At the same time, reading court records counterintuitively suggests that the agency of the colonized can also be examined in innovative ways.
• Crime and Capitalism: The historical study of capitalism has been on the rise since the financial crisis of 2007/08. Although capitalism is often equated with modernity, the beginnings of this economic system date back to the late Middle Ages. Capitalist economies did not exist independently of state regulations. Which role did criminal courts play in the protection of property, trade and accumulation of capital? Where did the boundaries between legal and illegal forms of accumulation lie? These and other questions that could inform the study of capitalism still seem largely unanswered.
• Criminal and Environmental History: Environmental history has become more relevant in the wake of the climate crisis and interdisciplinary research on the Anthropocene. What role did crime and criminal justice play in managing and protecting the environment as a public good since the late Middle Ages?
• Criminal History and Animal Studies: Animal studies has recently provided important impulses for the study of history. What role did animals play in the field of both crime and criminal justice? Are they assets worthy of protection, booty, or perhaps even actors? To what extent did this aspect correspond with the emergence of the modern animal protection movement from the mid-19th century?
• Criminal History as Contemporary History: While the roots of the history of crime in the German-speaking world lie in late medieval and early modern studies, the 19th and to some extent the early 20th centuries have in the meantime received greater consideration. In contrast, research on the period after 1945 and especially on the last three decades of the 20th century is more scarce. The time is opportune to focus on post-1970 developments. The 'post-boom' period was characterized by profound social, economic and cultural change. How this affected crime, perceptions of crime, and the fight against crime has so far hardly been explored.
• Criminality and Material Culture: Criminal history has also placed its focus on crime as a symbolic interaction. Thus, the reconstruction of symbolic worlds and sensibilities has often been in the foreground. The most important example of this is ‘honor’, which was constitutive for some types of crime until the early 20th century. The Material Culture approach, which has been popular for some years, focuses less on experiences and discourses than on artifacts and tangible things. It would be particularly interesting in the case of theft and robbery to pay close attention to which things changed hands and how this changed over time.
• Criminal History and the Digital Humanities: Recent interdisciplinary research is increasingly focusing on the possibilities (and impossibilities) of digital humanities. The conference will provide an opportunity to discuss projects that deal with new technologies and digital methods in the field of historical crime research.
This list of topics is not final, but should be understood as preliminary. The conference is open for further innovative topics, methods and perspectives! Presentations should not exceed 20 minutes and can be held either in German or English.

Please send a one-page abstract (max. 300 words, in German or English) with the title of the paper and an outline of the content together with a short CV (one page) in a PDF file to Maurice Cottier, email: maurice.cottier@unifr.ch

The deadline for submission of proposals is October 1, 2023.

Date and Location:

The conference will be held at the University of Bern, Switzerland from June 19 (arrival) until June 22, 2024.
The organizing team is seeking funding for overnight accommodation for speakers.

Contacts:
Tina Adam, Universität Bern, Historisches Institut, tina.adam@unibe.ch
Maurice Cottier, Universität Freiburg, Departement für Zeitgeschichte, maurice.cottier@unifr.ch
Joachim Eibach, Universität Bern, Historisches Institut, joachim.eibach@unibe.ch

Kontakt

Maurice Cottier (maurice.cottier@unifr.ch)